Allgemeine Stratifikationstheorie

Continuing the discussion from Survival and prepping:

Ja, sicher. Diese Mechanismen gibt es. Der gewöhnliche Mensch verliert sich in Missgunst und Verteilungskämpfen, und zeigt sich wenig solidarisch mit Menschen, die unverschuldet oder verschuldet unter die Räder des Systems geraten. Das kann man durchaus als Konsequenz unserer verstädterten Zivilisation sehen, in welcher sich die Menschen zunehmend voreinander entfremden und gar nicht mehr auf Solidarität und Kooperation angewiesen sind, sondern sich auf eigene Faust durch’s Leben kämpfen können, sei es über eigene Leistung, Betrügereien, oder das Abgreifen von Staatsleistungen.

Hypothetisch gesehen hast du Recht. Verschwörungstheorien braucht es nicht, um das kapitalistische System und die zunehmende Kapitalakkumulation in den Händen weniger zu erklären. Letztere erscheint im Buch “Kapital im 21. Jahrhundert” von Thomas Piketty praktisch in Kraft eines Naturgesetzes.

Umgekehrt sind aber Verschwörungen ein natürliches Resultat von wenigen Prinzipien. Wenn man schon mit Ockham’s Rasiermesser argumentieren will, sollte man darauf achten, die Prämissen von den Schlussfolgerungen zu trennen. Hier also mein Versuch eines möglichst sparsamen Erklärungsmodells für unsere derzeitige Gesellschaft:

Allgemeine Stratifikationstheorie

  1. Das Besitzen von Ressourcen erleichtert die weitere Akkumulation von Ressourcen.
  2. Die meisten Menschen besitzen ein gewisses Korruptionspotenzial und sind zu einem gewissen Grad bereit sich durch illegale Aktivitäten und Absprachen zu bereichern.

Alleine Punkt 1 erklärt, wieso die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht: Diejenigen mit mehr Geld haben Zugang zu besseren Optionen an noch mehr Geld zu bekommen. Diejenigen, die wenig Geld haben, sind mit ihren schlechten Mitteln nicht in der Lage sich im Wettbewerb um bessere Erwerbsmittel durchzusetzen.

Nun kann man aber auch Skrupellosigkeit und kriminelles Geschick als Ressourcen betrachten. Wer skrupelloser ist als seine Konkurrenz - und intelligent genug ist, sich nicht bei fragwürdigen Aktivitäten erwischen zu lassen - sticht diese aus. Als Konsequenz findet eine Selektion zu höheren Graden der Korruption und Skrupellosigkeit statt, je “höher” man in der Gesellschaft aufsteigt.

Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre. Selbst angenommen der Grad der Korruption wäre in allen Schichten der Gesellschaft konstant, hätten doch diejenigen, die mehr Mittel zur Verfügung haben, bessere Karten darin, mit korrupten Deals davon zukommen. Alleine dieser Effekt würde die vorige hypothetische Annahme der Gleichverteilung der Korruption wieder schnell zerstören.

An dieser Stelle sollten wir ein paar mögliche Einwände betrachten:

Einwand A: Wieso sollten Reiche sich auf korrupte Deals einlassen, wenn diese doch schon auf Grund ihres Reichtums zu den Gewinnern zählen werden?

In der Tat, ist dies nicht notwendig. Es mag auch viele Reiche geben, die eine weiße Weste haben. Wegen der oben erwähnten Selektionsmechanismen ist dies aber weniger wahrscheinlich, als dass ein Mensch aus der Mittelschicht eine weiße Weste hat. Die restlichen Reichen haben laut Prämisse 2 eine gewisse Risikobereitschaft, sich auf Geschäfte einzulassen, bei deren Auffliegen sie alles verlieren könnten. In der Regel setzt sich die letzere Gruppe als ganzes durch, auch wenn einige davon tatsächlich auf die Nase fliegen.

Einwand B: Könnten die ehrlichen nicht einfach die Korruption auffliegen lassen, und sich dadurch einen Vorteil verschaffen?

Tatsächlich ist diese Möglichkeit einer der wenigen Faktoren, welche ein allzu krasses explodieren der Korruption verhindern. Allerdings ist es deutlich schwerer einen superreichen Korrupten dingfest zu machen als einen Mittelständler, der unlautere Geschäfte macht. Die Möglichkeiten von Superreichen sich gegen juristische und mediale Angriffe zu verteidigen, sind enorm. Die reichsten Menschen können sich nicht nur die besten Anwälte leisten oder sich in Medienkonzerne einkaufen. Sofern diese auch noch korrupt und gut vernetzt sind, können alle Möglichen Arten von Angriffen gegen “Aufklärer” angedroht oder durchgeführt werden. Selbst bei Menschen, die offensichtlich kriminell sind, wie Beispielsweise Al Capone, oder bei Mitgliedern der Mafia, müssen die Angriffe der Gesetzeshüter schon sehr massiv sein, damit überhaupt etwas passiert.

Die Rolle von Verschwörungen

Verschwörungen sind ein integraler Bestandteil von Korruption. Zwar können auch individuelle Handlungen oder Unterlassungen, wie etwa das Verschweigen gewisser zusätzlicher Einkommensquellen in der Steuererklärung, als Korruption gelten, aber richtig interessant wird es erst, wenn mehrere Personen gemeinsame Sache machen, um sich gegenüber dem Rest der Gesellschaft zu bereichern.

Gehen wir der Einfachheit zunächst davon aus, dass das Vermögen sich mit anderen zu verschwören in der Gesellschaft konstant ist. Dann wird es mit ziemlicher Sicherheit einige Superreiche geben, die sich untereinander absprechen, um krumme Geschäfte zu machen, unter denen der Rest der Gesellschaft leidet. Der Schaden solcher Verschwörungen ist enorm, auch wenn “Megaverschwörungen” nicht so häufig sind wie “Mikroverschwörungen” wie Preisabsprachen oder Schwarzarbeit.

Während aber die Existenz von Schwarzarbeit nicht geleugnet wird, werden Megaverschwörungstheorien oft mit dem Argument ausgeräumt, dass diese schnell auffliegen würden. Wie wir in Einwand B aber gesehen haben, ist es schwer Verschwörungen zu beenden, selbst wenn die Öffentlichkeit einen starken Verdacht hat und die Summe der Indizien überwältigend ist. Man kann aber auch probabilistisch argumentieren: Nehmen wir an, dass 95% aller Fälle von Schwarzarbeit nicht auffliegen. Wieso sollte es bei Megaverschwörungen wesentlich anders sein und diese in 0% nicht auffliegen? Ergo ist eine natürliche Konsequenz der Grundprämissen, dass wir von einer gewissen Anzahl von real existierenden, noch nicht aufgeflogenen Megaverschwörungen ausgehen müssen. Wer das verneint, ist ein Verschwörungsleugner, der verdammt gute Argumente für seine Position aufbringen muss.

Nun ist es aber wahrscheinlich eher so, dass die Fähigkeit zur konspirativen Aktion in der Gesellschaft nicht gleichverteilt ist. Einige Menschen sind vermutlich wesentlich geschickter darin, sich außerhalb der Augen der Öffentlichkeit mit anderen für den eigenen Vorteil abzusprechen. Diese Menschen werden sich logischerweise eher durchsetzen, und an die Spitze der Gesellschaft manövrieren können. Übrigens sind diese Fähigkeiten nicht nur naturgegeben, sondern können wahrscheinlich erlernt und gezielt verfeinert werden. Geheimbünde sind gute Orte, um diese Fähigkeiten zu trainieren. Von daher ist davon auszugehen, dass Mitglieder von Geheimbünden bessere Karten haben, sich – sofern sie die Bereitschaft zur kriminellen Verschwörung aufweisen – in der Gesellschaft nach oben zu kämpfen.

Deswegen sollten wir an der Spitze der Gesellschaft davon ausgehen, dass es sich um Menschen handelt, die ein enormes Vermögen zur Konspiration verfügen.

Möglich. Aber selbst wenn die Ungleichverteilung von Ressourcen die ursprüngliche Ursache der meisten gesellschaftlichen Misstände ist, machen Korruption, und Manipulation diese Ungleichverteilung noch schlimmer, und sollten daher auch bekämpft werden. Zu versuchen, die Ungleichverteilung zu beseitigen, ohne die massive Korruption zu beseitigen, wird höchstwahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt sein. Die Korruption ist der Biofilm der korrupten Eliten, welche diese vor den Antibiotika des Rechtsstaates und der breiten Öffentlichkeit schützt.

Der Nutzen von quasiplanwirtschaftlichen Projekten (also solchen, die staatliche Schutzprivilegien wie Subventionen, Patente oder Haftungsausschlüsse genießen und auch noch durch 4P angefeuert werden) liegt doch eindeutig bei den Eigentümern dieser Projekte, welche sich dadurch einen gewissen Gewinn garantieren können. Im Gegensatz zu “ungeschützten” Projekten in der freien Marktwirtschaft, ist die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ungleich geringer. Es ist ökonomisch rational, sich aller möglicher Mittel zu bedienen, um die Aussicht auf großen Gewinn zu steigern.

Im Grunde hast du damit Recht, weswegen ich diese ausführliche Analyse dargelegt habe. Eine wehrhafte und wachsame Gesellschaft sollte sich nicht nur darum kümmern, Verschwörungen zu bekämpfen, sondern auch dafür sorgen, dass die systemischen Bedingungen für das Aufkommen derartiger Verschwörungen minimiert werden. Ansonsten verkommt die Gesellschaft in einen “Whack a mole” Modus, in welcher eine Verschwörung nach der anderen aufgedeckt wird, aber der Gesamtgrad der Korruption sich aber nicht verbessert, weil ständig neue Verschwörungen entstehen.

  1. Wie willst du das quantifizieren?
  2. Welche Rolle soll dieses Argument spielen, wenn ich mich am liebsten gar nicht abzocken lassen will? Im einen Fall verschließe ich die Augen vor der (Micro-)Abzocke vom Dönerladen, im anderen vor der (Mega-)Abzocke von Bill Gates. Ist beides ziemlich blöd.

Stratifikationsfaktoren

Die Position und das Potenzial sich bessere Positionen in der Gesellschaft zu erkämpfen, hängen maßgeblich von folgenden Faktoren ab:

  1. Materieller Reichtum
  2. Fähigkeit zu konspirativem Handeln
  3. Bereitschaft zur Korruption
  4. Bildung
  5. Allgemeine Vitalität
  6. Intelligenz

Die Sortierung dieser Faktoren erfolgt nach der Schwierigkeit der Steigerung. Während es relativ einfach ist, seinen materiellen Besitz zu vergrößern, ist es ungleich schwerer, seine allgemeine Intelligenz zu steigern.

Natürlich sind die meisten obigen Faktoren positiv korreliert. Wer intelligenter ist, wird auch erfolgreicher im konspirativen Handeln sein.

Conclusio

Wie du also siehst, sind Megaverschwörungen nicht in meiner Prämissenmenge vorhanden, dafür eine natürliche Konsequenz meines Gesellschaftsmodells. Du hast nun die Wahl meine Prämissen anzugreifen, oder meine logischen Ableitungen. Hast du etwa eine Prämissenmenge geringerer Komplexität? Und selbst wenn: Die Gültigkeit meiner Prämissen ist schwer zu leugnen.

Die praktische Schlussfolgerung sollte darin liegen, zu fragen, welche Verschwörungstheorien denn real sind, statt sich in Diskussionen zu verstricken, ob diese überhaupt existieren. Damit würden wir die Diskussion auf eine potenziell fruchtbare Sachebene transportieren. Allerdings ist die Notwendigkeit theoretischer Debatten wie dieser ganz offensichtlich, da wir von verschiedenen Paradigmen ausgehen.

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zu "Deiner prämissenmenge/Deines geschäftsmodells/Deiner prämissen/Deinen logischen ableitung … fünfmal “meine” in einem absatz … (auch bekannt als 5 m ) möchte ich nur sagen, dass es sich um eine ableitung der längst überholten “homo oeconomicus”- these handelt. der mensch als rationales tier …usw. siehe theorie vonwemauchimmer.

hier ein interessanter test:

https://analysis.narzissmus.zortify.com/index.php/925473?lang=de-informal

In welcher Weise soll das was du da geschrieben hast überhaupt Sinn ergeben?