Kybernetische legislative

gestern diskutierte ich mit einem juristen über die möglichkeit juristen, also anwälte, notare, richter usw. durch künstliche intelligenz zu ersetzen.
nach der üblichen anfänglichen empörung und chauvinistischen entrüstung über die anmassung einer maschine eine so typisch menschliche tätigkeit wie die rechthaberei übernehmen zu wollen, wurde das gespräch sachlicher, besonders als ich auf die kostenersparnis und den zeitgewinn verwies, welche durch eine automatisierte judikation ermöglicht würden.

dann aber stellte er mir eine entscheidende frage. er fragte:

konsequent weitergedacht, sollten dann auch intelligente computersysteme gesetze erlassen?

da hatte er mich.

wer hat argumente oder eine meinung dazu?

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der eben verlinkte Gegenstandpunkt vertritt folgende Auffassung: Der Staat dient nur den Interessen des Kapitals. Dementsprechend sind auch alle Gesetze die der Staat erlässt Werkzeuge, die ausschließlich der Erwirtschaftung des Kapitals dienen, also das günstigste Regelwerk bereitstellen. Klassisches Beispiel: Der Schutz des Privateigentums.

Wenn einzelne Kapitalisten vom Staat strafrechtlich verfolgt werden, dann nur, weil ihr Verhalten dem Interesse des Staates an der Erwirtschaftung von Kapital beteiligt zu werden im Wege stehen. So geschehen als Putin ein paar Oligarchen in den Knast steckte.

Natürlich möchte der Staat nicht in die Interessen des Kapitals eingreifen, weil dies immer die Profite der Kapitalisten reduziert und damit auch das, was am Ende beim Staat ankommt. Das tut er also nur in Ausnahmefällen.
Hier in Deutschland gibts extra Institute für die Entflechtung von Firmen zum Beispiel, nimmt man aber in der Öffentlichkeit kaum war. Vermutlich, weil sie nicht häufig tätig werden.

Eine KI die Gesetze erlässt wird also eine simple Kosten/Nutzen Rechnung führen bei gleichzeitiger Berücksichtigung eines Risikomangements.

Wenn die KI also einen Mindestlohn festlegen möchte, wird sie die sinkenden Profite des Kapitalisten gegen die Befriedung der Massen ausrechnen. Je höher die Kampfbereitschaft der Gewerkschaften, desto höher der Mindestlohn. Bleibt natürlich auch die Möglichkeit härter gegen die Gewerkschaften vorzugehen.

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das ist eigentlich “menschliches denken”, also eine art “spieltheorie”.

eine super-ki wäre möglicherweise in der lage zu einem “gaia-denken”, also die interessen der gesamtheit von terra zu berücksichtigen, inklusive einer “teleologie”, also einem “sinn”.

so simple ist es nicht, wechselt man von der “maus”-perspektive zu einer “adler”-perspektive :slight_smile:

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jemand hat mal gesagt: das einzige, was die “hohlen” können, ist zählen.

deine “ki” ist wohl so etwas wie ein taschenrechner - ich dachte eigentlich an etwas komplexeres ^^

klar, die spieltheorie ist im wesentlichen eine Reihe von Optimierungsproblemen.

“Maximiere A, ohne dabei Schranke B zu überschreiten” und dergleichen.

Das “gaia-denken” müßte dann neue Maßstäbe erfinden, sobald das kapitalistische Systeme auf welche Weise auch immer in ein sozialistisches geändert werden kann.

Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Cybersyn

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Da ich eine erste “Super-KI” nur als perfekte Simulation eines menschlichen Geistes, also biologischer Intelligenz, erwarte, würde diese sicherlich auch Gesetze entwerfen und interpretieren können und dürfen.

Wenn man die “Super-KI” jedoch als etwas von menschlichen Denkmustern und Werten entkoppeltes sieht, dann verbietet sich das, da Gesetze hauptsächlich wertebasiert und für die Menschen gemacht sind. Wenn die KI nicht die Werte und das “Gerechtigkeitsempfinden” der Mehrheit der Menschen teilt, dann sollte sie weder Gesetze verfassen noch interpretieren dürfen.

PS.: Weder “der Staat” noch “das Kapital” sind Persönlichkeiten. Dementsprechend müsste der Satz

richtig lauten: Menschen, die den Staat gestalten und verwalten dienen den Interessen kapitalistisch orientierter Bürger. Im übrigen bin ich der Meinung, dass eine Regierung-beratende KI, welche die Maximierung des Gemeinwohls zum Ziel hat, sicherlich von Vorteil wäre.

Es ist ein theoretischer Fehler den Kapitalismus auf das natürliche Verhalten von Individuen zu reduzieren. Das kapitalistische System hat eine solche Sogkraft, dass es im Grunde vollkommen gleichgültig ist was das Individuum dadrin will oder nicht.

Das Kapitel “Warenfetisch” im Kapital von Karl Marx sagt aus: “Die Ziele desjenigen, der mit Waren operiert, sind vollständig festgelegt.”

Das sagt aus, dass es langfristig keinen Unterschied zwischen einem grünen Kapitalismus und einem der Atomindustrie gibt.

Dass Marx damit für seine Zeit vielleicht Recht hatte mag sein. In unserer Zeit, in der immer mehr Waren im Überfluss vorhanden sind und sich Menschen immer mehr kaufen können verliert der “Warenfetisch” zunehmend an Kraft. Unterschätze nicht die intrinsische Motivation. Das System ist nichts ohne die Menschen, die es ausfüllen und gestalten.

Dieser Artikel der WIWO https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/studie-digitalisierung-und-arbeitsplaetze-welche-jobs-betroffen-sind/12724850-2.html stellt fest: “In der Branche der Rechtsberufe liegt das Substituierbarkeitspotenzial bei 18,4 Prozent.”

Eine recht undifferenzierte Studie. Beispiel “Elektroberufe” (die ich gerade mal gut kenne). In der Studie steht: “Elektroberufe lassen sich im Durchschnitt zu 75,6 Prozent von Computern erledigen. …”.

Nun möchte ich mal den Computer erleben, der einen Elektroinstallateur (zweifellos ein Elektroberuf) bei der Sanierung eines Altbaues ersetzt - einer handwerklichenTätigkeit, die bei aller KI noch Jahrzehnte notwendig sein wird.

Mir scheint, diese ganzen Diskussionen, werden zu einseitig EDV (ja ich verwende diese Abkürzung noch :grinning:) lastig geführt. Die “reale” Stein-, Beton- und Stahl- Hardware, die noch lange das Fundament unserer Wirtschaft darstellen wird, blendet man dabei völlig aus.

Übrigens hat auch Kurzweil seine Beschleunigunsprognosen ausdrücklich nur auf die Rechnerleistung bezogen.

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ganz abgesehen davon, dass ich nicht weiß welche “Menschen” du meinst, die" immer mehr kaufen können" folgt die eine Aussage nicht aus der anderen. Der Warenfetisch besagt, dass die Profitlogik des Kapitalisten ihm sein vorgehen diktiert.

Also ob er Mitarbeiter entlässt oder welche anstellt, einen Standort ausbaut oder schließt, eine Technologie nutzt oder nicht wird durch das kapitalistische System diktiert und liegt nicht in der freien Entscheidung des Kapitalisten, möchte er auch morgen noch Konkurrenzfähig sein.

Eine intrinsische Motivation habe ich nur in Bewerbungsschreiben.

Ja, von AG-Seite her. AN sind immer mehr intrinsisch motiviert.

Du bist also sonst nie neugierig?

laut einer IGM Umfrage haben 95% der Belegschaft innerlich gekündigt.

Wahrscheinlich sind wissenschaftliche Spezialisten schon motiviert. Aber leider kann nicht jeder WIssenschaftler werden.

edit: und klar, neugierig bin ich. Nur nicht auf die meisten Lohnarbeitsstellen.

vermutlich sollen da bereits pflöcke eingeschlagen werden :slight_smile:

auffällig ist schon, dass ausgerechnet rechts- und verwaltungsberufe, also ironischerweise die datenverarbeitenden tätigkeiten das geringste substituierungspotential aufweisen sollen. wogegen der gute alte hausmeister zu 44 prozent ersetzbar sein soll.

honni soit, qui mal y pense.

interessant wäre die analyse einer ki zum thema :smiley:

werter @dominic , ich habe diesen thread bewusst nicht in der tpd-kategorie angelegt, um eine von wahlkampfgetöse freie diskussion zu ermöglichen.

das gerede von “werten” und “gerechtigkeit” erinnert doch etwas an tüv-plaketten auf dieselfahrzeugen.

als wissenschaftler, zudem noch biologe (?) , sollten dir die evolutionären triebkräfte und die thermodynamischen gesetzmässigkeiten, die im zusammenspiel mit den wohl eher zufällig (?) wenn auch kontigenten (anthropischen prinzip) gaben, wie artikulationsfähiger sprechapparat, optimierte greiforgane, hypertrophierte grosshirnrinde, usw., zur entwicklung unserer art von tieren geführt haben, sicher bewusst sein.

und ebenso dürfte dir klar sein, dass ausser in religiösen kanonischen werken, nirgendwo festgeschrieben steht, dass der mensch das endprodukt der evolution sein soll. deswegen wird von “trans-” humanismus gesprochen, als eine weiterentwicklung des “humanismus”.

ich schätze deine loyalität gegenüber deiner spezies (übrigens auch ein biologischer instinkt). aber zumindest im kreise mehr oder weniger gleichgesinnter müsste es doch erlaubt sein, mal über den tellerrand des anthropozentrismus hinaus zu schauen.

solltest du eines tages als kanzlerkandidat aufgestellt werden, wird man dir sicher auch gedankenspiele, die nicht unbedingt die meinung des einfachen mannes von der strasse widerspiegeln, als lässliche jugendsünde durchgehen lassen. wir sind alle jung und brauchen das geld :wink:

Oho, da ist er wieder. Der Herr vom hohen Ross, der meint den vollen Durchblick zu haben.

Mein Kommentar ist, wie die Kommentare aller Anwesenden hier, lediglich meine eigene, persönliche Ansicht und hat nichts mit “Wahlkampfgetöse” und nichts mit der TPD zu tun. Ich habe keine Ahnung, wie du darauf kommst.

Back 2 topic, ok?

Komisch. Dieses “Gerede” ist die Grundlage unseres Rechtssystems.

Einfache Frage: Für / über wen sollt die kybernetische Legislative Entscheidungen treffen? - Die Menschen. Also muss sich die kybernetische Legislative an das Rechtsverständnis der Menschen halten. Andernfalls werden deren Entscheidungen als Unrecht wahrgenommen und die kybernetische Legislative abgeschaltet.

Natürlich ist mir das klar. Eben weil ich Biologe bin weiß ich, dass der Mensch weder “Krone der Schöpfung” ist noch dass seine Evolution abgeschlossen ist. Die biologische Evolution des Menschen geht stetig weiter.

Worüber wir aber reden ist die soziokulturelle Evolution in deren Rahmen sich die Rechtsphilosophie herausgebildet hat. Bist Du der Ansicht, dass die soziokulturelle Evolution den Gesetzen der biologischen Evolution folgt?

Ich bezweifle, dass du meine Loyalität gegenüber den Menschen schätzt. Zumindest lässt sich das nicht aus deinen bisherigen Aussagen hier im Forum ablesen. Abgesehen davon schaue ich öfter über den Tellerrand als du vermutest. Übrigens kann man nur über den Tellerrand schauen, wenn man weiß wo er endet.

Menschen sind vielfältig. Und ebenso vielfältig sind ihre Vorstellungen von Recht und Unrecht. Allein wenn man nach Axel Tschentscher geht, welche Grundposition der Gerechtigkeitstheorie müsste die KI einnehmen? Nietzscheanisch, aristotelisch, hobbeseanisch oder kantisch?

Oder falls du die kybernetische Legislative gar nicht in dieses System einbetten willst - welches Rechtsverständnis soll sie dann haben? Auf welchem Grundgerüst baut sie ihre Entscheidungen?

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Eine extremere Vision der postindustriellen Gesellschaft ist die Theorie der technologischen Singularität. Damit bezeichnet man einen vorhergesagten Zeitpunkt in der Geschichte einer Zivilisation, an dem auf Grund des technologischen Fortschritts der gesellschaftliche, wissenschaftliche und ökonomische Wandel so schnell abläuft, dass nichts jenseits der Zeit von den Menschen aus der Prä-Singularitäts-Ära verlässlich verstanden oder vorhergesagt werden kann. Eine solche Singularität wurde erstmals in den 1950er Jahren diskutiert und durch Vernor Vinge in den 1980ern populär. Dennoch begegnen viele konservative Sozialwissenschaftler dieser extremen Ansicht mit großer Skepsis.
(kopiert aus wiki)

es wird kein “weiter so” geben. und die vorstellung eines @dominic , der hinter der “super-ki” als tugendwächter steht, um ihr gegebenenfalls “den stecker zu ziehen” ist, entschuldige, einfach lachhaft.

ich erinnere hier mal an das rote-königin-prinzip:

Rote-Königin-Hypothese, red queen hypothesis. In dem von Charles Dodgson (bekannt als Lewis Carroll) verfaßten Buch „Alice hinter den Spiegeln“ erfährt Alice von der Roten Königin: „Hierzulande mußt Du so schnell rennen, wie Du kannst, wenn Du am gleichen Fleck bleiben willst“. Analog dazu betrachtet Van Valen die Evolution von Organismen als eine Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Arten, in der ein Gewinn (ein evolutionärer Fortschritt) für ein Taxon einen Verlust (eine Verschlechterung der Umweltbedingungen) für ein oder mehrere andere Taxa bedeutet. Jede Art ist daher eingebunden in einen evolutiven Wettlauf mit seinen Beutegreifern, Beuteorganismen (Prädation), Wirten, Parasiten oder Konkurrenten (Konkurrenz) und muß sich daher so schnell wie möglich entwickeln, um mithalten zu können (Coevolution). Die Essenz der Rote-Königin-Hypothese ist, daß biotische Faktoren als die entscheidenden Aspekte der Umwelt und damit der Evolution einer Art betrachtet werden. Die Hypothese wird häufig im Zusammenhang mit Entstehung und Fortbestehen der sexuellen Fortpflanzung diskutiert. Evolution.
kopiert aus spektrum der wissenschaft)

der technologische und wissenschaftliche fortschritt wird bereits von vielen akteuren auf maximalem level vorangetrieben, und die haben wohl nicht die absicht irgend jemanden, auch nicht einen @dominic , um erlaubnis zu fragen.

daher bin ich der bescheidenen ansicht, dass überhaupt keine wahl besteht.

das schicksal der vom fortschritt überrannten primitiven völker, die, wenn sie glück haben, in eingehegten reservaten an ihren überkommenen weltanschauungen festhalten dürfen, sollte uns eine warnung sein.

die menschheit wird auf ihre althergebrachte weise nicht überleben können, daher betrachte ich bedenkenträger wie dich als eine weitaus grössere gefahr für das überleben der menschheit, als eine möglicherweise feindselige “super-ki”

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wie ich schon einmal an anderer stelle erwähnte, läuft eine solche fragestellung auf das theodizee-problem hinaus.

dazu müssten sich die leute allerdings bereit finden, sich der “super-ki” als einem deus ex machina zu unterwerfen, und ihre urteile als “gottes-urteile” anzunehmen.

erfahrungsgemäss sind menschen bereit, sich allem möglichen zu unterwerfen, das oft bei weitem weniger greifbar ist, wenn man es ihnen irgendwie mittels eines narratives plausibel macht.

menschengemachte rechtssprechung funktioniert paradoxerweise nur, weil sich jeder dabei als “ungerecht” behandelt fühlen kann, wie die psychologie herausgefunden hat. oder wie viele gesetze, von den zehn geboten mal abgesehen, meinst du, lassen jedermann gerechtigkeit widerfahren?

aber um nicht den verdacht aufkommen zu lassen, ich wollte deiner frage ausweichen: ich habe in der tat eine idee für ein neuartiges rechtsverständnis, das durch eine mächtige kybernetische legislative machbar werden könnte:

ein individualisiertes rechtssystem

analog vielleicht zu einer personalisierten medizin.

ich weiss, ich weiss, gleich geht das geschrei los - aber, so als gedankenspiel: warum nicht? wie du schon sagtest:

^^

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Abgesehen davon, dass die Theorie der technologischen Singularität auch nur eine Theorie ist: Du bist also der Überzeugung, dass wir nicht wissen was kommen wird. Warum dann die Diskussion über eine kybernetische Legislative?

Des Weiteren möchte ich Dich bitten rational zu bleiben und vom argumentum ad hominem abzusehen. Danke. Für jemanden, der überkommene Denkmuster überwinden und sich außerhalb der menschlichen Schwächen stellen möchte reagierst Du erstaunlich menschlich-irrational.

Äh. Nein Danke. Ich möchte mich keinem Gott unterwerfen. Ich strebe maximale individuelle Freiheit an.

Ich bin nicht der Ansicht, dass die 10 Gebote jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber das ist meine Ansicht. Ebenso, wie die psychologische Forschung sich auch nur auf Rechtstheorien und menschengedachte Konstrukte stützt. Hier beißt sich die Maus selbst in den Schwanz. Ich glaube auch nicht, dass es irgend ein Gesetz gibt, welches allen Menschen der Erde das Gefühl gibt gerecht behandelt zu sein. Daher scheint es erstrebenswert Gesetze zu finden, bei denen ein Maximum an Menschen sich gerecht behandelt fühlt. Die Menschenrechte sind da der derzeit beste Ansatz.

Wow, vielen Dank. Das ist wirklich konstruktiv. Wie genau stellst du dir dieses individualisierte Rechtssystem vor? Gelten für jeden Menschen unterschiedliche Rechte? Gibt es auch Rechte, die für größere Gruppen von Menschen gelten? Wie willst du vermeiden, dass sich Menschen dadurch ungerecht behandelt fühlen?